Die Homo-Ehe und der Etatismus*
Von Christian Hoffmann
Die Vereinigten Staaten von Amerika befinden sich im Krieg! Im Krieg nicht etwa mit Saddam Hussein oder Osama bin Laden. Nein, ein Kulturkrieg tobt im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Dabei geht es keinesfalls, wie man vielleicht annehmen könnte, um die vermeintliche Schicksalsfrage, ob nun der hagere Ostküstendoyen, Senator John Kerry, oder der burschikose texanische Cowboy, der amtierende Präsident George W. Bush, nach dem Jahr 2004 das bedeutendste politische Amt der Welt wird innehaben können. Vielmehr geht es um die, nach den Worten der First Lady Laura Bush, „sehr, sehr schockierende“ Frage, ob zwei Menschen sich im Bund der Ehe vereinigen können, oder besser dürfen. „Zwei Menschen“ wohlgemerkt, was in diesem Fall auch zwei Herren oder zwei Damen der Schöpfung einschliessen würde.
Seit im Jahre 2000 der damalige Gouverneur des US-Bundesstaates Vermont, Howard Dean (in etwa der Oskar Lafontaine der amerikanischen Demokraten), sogenannte „Civil Unions“ (Eingetragene Lebenspartnerschaften) für homosexuelle Paare legalisierte, rollt die Debatte über Sinn und Unsinn der Homo-Ehe wie eine Lawine über das Land. Letzter Höhepunkt in diesem Schlagabtausch war eine Entscheidung des Supreme Judicial Courts des US-Bundesstaates Massachusetts im letzten November, welche das Vorenthalten des vollen Eherechts gegenüber Homosexuellen für nicht verfassungsgemäss erklärte und die unmittelbare Einführung eines solchen Rechts einforderte. Seitdem fahren die gegenerischen Parteien schwere Geschütze auf. Konservative Republikaner fordern, unterstützt durch ihren Präsidenten, eine Ergänzung der Bundesverfassung, welche das Eherecht auf die Verbindung von einem Mann mit einer Frau beschränken würde. Dieser sozusagen hoheitliche Akte der Diskriminierung veranlasste wiederum die „Log Cabin Republicans“, ein Zusammenschluss homosexueller Republikaner, eine die Position des Präsidenten kritisierende Medienkampagne ausgerechnet in jenen Staaten zu finanzieren, welche für die Wiederwahl George W. Bushs entscheidend sein dürften. Dabei werden auf Staatenebene längst rechtliche Tatsachen geschaffen. Ganze 39 US-Bundesstaaten, von Alaska bis Florida, haben sogenannte DOMAs, Gesetze zur Verteidigung der Ehe, verabschiedet, welche die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe unterbinden. Vier Staaten haben ihre Verfassung bereits entsprechend ergänzt, während weitere 18 dies in Erwägung ziehen. Bürgerrechtsgruppen erinnern an die 1940er Jahre, als das Verbot der gemischtrassischen Ehe aufzubrechen begann.
Dabei werden in diesem verbitterten Kulturkampf von beiden Seiten zum Teil abenteuerliche Argumente ins Spiel gebracht. Die „Human Rights Campaign“, eine Organisation, welche sich für die Rechte Homosexueller einsetzt, fordert Betroffene auf, in ihrem Bekanntenkreis darauf aufmerksam zu machen, dass durch den Ausschluss vom Eherecht homosexuellen Paaren sage und schreibe 1049 bundesstaatliche Begünstigungen – von Steuererleichterungen bis zur Sozialhilfe – vorenthalten werden. Sicher ein für Sozialdemokraten unerträglicher Gedanke! Die religiöse Rechte dagegen sieht im Falle einer staatlichen Anerkennung der Homo-Ehe das Fundament des heiligen Bundes der Ehe zerbrechen. Demnach würden sich wohl ohne staatliche Aufsicht unzählige verheiratete Männer an die Stirn schlagen und ausrufen: „Verdammt, ich hätte ja auch einen Kerl heiraten können!“
Wieder einmal zeigt sich, dass der wohlwollend-regulierende Eingriff des Staates im Sinne des „Gemeinwohls“ Missgunst, Gier und Hass weckt und den gesunden Menschenverstand vernebelt.
Nicht zu Unrecht fragte schon 1998 David Boaz, ein Vertreter des liberalen amerikanischen Cato Institutes, warum das gesamte Eherecht nicht schlicht privatisiert werden könne? Ehevereinbarungen würden so zu privatrechtlichen, staatlich sanktionierten Verträgen. Religiöse Institutionen könnten selbstverständlich weiterhin selbständig darüber entscheiden, welche Formen der zwischenmenschlichen Beziehung ihre Anerkennung finden würden. Der Staat würde sich damit aus dem Privatleben der Bürger – zumindest in diesem Bereich - völlig heraushalten.
Doch so einfach lässt sich die Linke ein Instrument zur Sozialklempnerei nicht aus der Hand nehmen. Und so schnell verzichtet die - ach so staatsskeptische - Rechte nicht auf die Möglichkeit, anderen Menschen ihre ideologischen Gesellschaftsvorstellungen aufzwängen zu können. Hätte man doch in der liberalen Argumentation fast ein entscheidendes Problem übersehen: Eine Privatisierung des Eherechts würde ja schliesslich auch die Möglichkeit der Polygamie legalisieren. Und das geht nun wirklich nicht! Wie die amerikanische Journalistin Cathy Young im liberalen Magazin „reason“ darstellte, führe Polygamie zu Eifersucht und Spannungen. Machtungleichgewichte in diesen Beziehungen könnten in psychologischem Missbrauch kulminieren. Auch David Boaz würde daher gerne das „private“ Eherecht auf zwei Personen beschränken. Schliesslich reflektiere das Eherecht einen Wunsch der Gesellschaft, die Ehe als „stabilisierendes Element der Sozialordnung“ zu unterstützen. Ausserdem habe ja auch die Regierung das Recht, ihrer Zustimmung zu privaten Verträgen Restriktionen aufzuerlegen. Oder wie der republikanische Generalstaatsanwalt des malerischen Staates Alabama, William Pryor, sagen würde: „Da könnte man ja gleich Nekrophilie, Inzest und Pädophilie legalisieren.“
Der Glaube an die Allmacht staatlicher Regulierung führt in diesem wahrhaft entlarvenden Fall offenbar dazu, dass Linke wie Rechte sich einbilden, Gesetze könnten entsprechend veranlagte Menschen davon abhalten, ihre Triebe auszuleben, oder umgekehrt, dazu animieren, ihnen wesensfremde Gewohnheiten anzunehmen. Ein Wort der Vernunft kam hier schliesslich aus Harvard – dessen offen homosexueller Kaplan Peter Gomes merkte an, dass es in diesem Streitfall keineswegs um Themen wie Polygamie, Sonderrechte oder die Zukunft der Familie gehe. Vielmehr ginge es um einen „Akt der Diskriminierung einer Mehrheit der Minderheit gegenüber“. Schöner hätte man das Prinzip der Demokratie kaum ausdrücken können.
Würde der Staat seine ebenso gierigen wie langen Finger aus dem Privatleben der Menschen heraushalten, würden Männlein und Weiblein, Weiblein und Weiblein sowie Männlein und viele, viele Weiblein in trauter Ehe miteinander leben können, ohne dass einem Aussenstehenden dadurch ein Schaden entstehen würde, ohne dass dadurch irgendeine Ehe länger oder kürzer dauern müsste, ohne dass ein Kind mehr oder weniger geboren würde und ohne das ein erbitterter Streit über staatliche Alimentierungen ausgetragen werden könnte. Wäre die westliche, christlich fundierte Kultur der monogamen Ehe nicht in der Lage, diese Freiheit ohne die Stütze eines staatlich-regulierenden Korsetts zu ertragen, so wäre sie ohnehin zu einer sehr kurzen Lebensspanne verdammt.
Doch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten tobt weiter der „Krieg der Kulturen“ und der unbeteiligte Beobachter stellt einmal mehr fest, dass wenige Begriffe so aufgebläht und dabei so hohl sind, wie „Demokratie“ und „Menschenrechte“.
Quellen:
www.cnn.com
www.reason.com
www.advocate.com
*ursprünglich erschienen in "eigentümlich frei", Mai 2004